Das Boarding in Kiel geht schnell und reibungslos. Die Gäste werden vom Kreuzfahrtteam und einer internationalen Crew aus 22 Nationen herzlich zu ihrer 11-tägigen 1.873 Seemeilen-Reise begrüßt. Ausgangspunkt der Reise ist die Ostseestadt Kiel, die zwar 1284 dem lockeren Bund der Hanse beitrat, niemals aber Bedeutung und Ansehen von Lübeck erreichen konnte. Mitte des 16. Jahrhunderts soll Kiel sogar aus dem Hansebund ausgeschlossen worden sein, weil sie Piraten Unterschlupf gewährt haben soll. Wie auch immer, wir genießen bei strahlendem Sonnenschein und 23°C Lufttemperatur die herrliche Ausfahrt aus der Kieler Förde, fühlen uns wie Piraten am Lido Büffet auf dem Aquamarine Deck, werden nach der Seenotrettungsübung von Kreuzfahrtdirektorin Linda Brummer, der guten Seele mit 24-Stunden-Job, herzlich „auf ein Wort“ begrüßt und mit den Usancen an Bord vertraut gemacht. „Die kürzeste Verbindung zwischen zwei Menschen ist ein Lächeln“. Irgendwie fühlen wir uns gleich wie zu Hause, gut aufgehoben und … lächeln.
„Mit einem Lächeln durch Danzig“. Das Buch von Andrzej Januszajtis kommt mir gleich in den Sinn, als wir am nächsten Tag durch Danzig bummeln. Der Autor – heute Ehrenbürger der Stadt – war nicht nur Direktor des Physikalischen Instituts, auch ein hervorragender Kenner und Förderer der Stadt. Sein Engagement reicht vom Carillon-Glockenspiel der Katharinenkirche bis zur astronomischen Uhr in der Marienkirche.
Diese imposante Uhr im linken Seitenschiff der Kirche wurde zur Blütezeit der reichen Hansestadt Danzig im 15. Jahrhundert vom Nürnberger Uhrmachermeister Hans Düringer geschaffen, überstand den Wechsel vom julianischen zum gregorianischen Kalender im 16. Jahrhundert kaum und die Bombardierungen der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg gar nicht. Bei jedem Stadtrundgang ist die rekonstruierte Uhr ein Besichtigungshöhepunkt. An Böden und Wänden der Marienkirche lassen sich noch zahlreiche in Stein gemeißelte Familienwappen aus der florierenden Hanseepoche ausmachen und auf den immensen Reichtum der Stadt im Mittelalter schließen. So hören wir von der einflussreichen Kaufmannsfamilie Ferber aus dem Rheinland mit sechs Danziger Bürgermeistern, drei Domherren und einem Bischof in ihrer Familientradition und imposantem Stammhaus in der berühmten Langgasse. Dort haben wir noch ein wenig Zeit, den Bernsteinschleifern über die Schultern zu schauen. Eine Fahrt auf einer nachgebauten spätmittelalterlichen Galeone schaffen wir leider nicht mehr. Wir bestaunen sie von außen. Sie liegt am Ufer der Mottlau gleich neben dem Wahrzeichen Danzigs, dem Krantor, von dem seit dem 14. Jahrhundert tonnenweise Handelsgüter in und aus der Stadt transportiert wurden.
Und auch wir werden nach unserem informativen und unterhaltsamen Ausflug zur Ocean Majesty zurücktransportiert. Dort warten schon auf uns Janos am Flügel zur Happy Hour sowie das Küchen- und Serviceteam mit Seehechtfilet und Lammkeule. Wer glaubt, der Abend sei schon vorbei. Weit gefehlt. Um 21 Uhr gibt es noch einen Vortrag von Lektorin Ingrid Dietrich sowie Musik und Tanz samt Late-Night-Snack in allen Bars und Lounges.
8 Uhr Ankunft in Klaipeda, Litauens einzigem Seehafen und mit rund 200.000 Einwohnern drittgrößten Stadt des baltischen Landes. Der Livländische Ritterorden ließ 1252 in dem sumpfigen Gebiet 50 Kilometer nördlich der eigentlichen Memelflußmündung in das Kurische Haff am Flüsschen Dange eine Burg errichten. Ob es einen Dortmunder Kaufmann gab, der Mitte des 13. Jahrhunderts die neue Ansiedlung sogar „Neudortmund“ nennen wollte, bekommen wir nicht heraus. Er ist nicht in die Geschichte eingegangen. Auf jeden Fall wurde Memel – heute Klaipeda – sicherlich von Hansekaufleuten besucht, ist aber niemals -vielleicht wegen des fehlenden Absatzmarktes- zur Hansestadt avanciert. Nicht destotrotz punktet die Region mit vielen landschaftlichen und kulturellen Besonderheiten.
Dazu zählt beeindruckend die seit 2000 zum UNESCO Weltkulturerbe gehörende, über 100km lange Kurische Nehrung mit der Großen Düne bei Nidden, früher auch „ostpreußische Sahara“ genannt.Thomas Mann investierte hier einen Teil seiner Nobelpreistantiemen in sein Sommerhaus mit herrlichem Ostseeblick, das er wegen seiner Flucht aus Nazideutschland leider nur drei Sommer besuchen konnte. Teile seines Werkes „Joseph und seine Brüder“ sollen hier entstanden sein. 300 Jahre zuvor schrieb der Memeler Lyriker Simon Dach sein „Ännchen von Tharau“. Er wird aber erst 120 Jahre nach seinem Tod über die Stadtgrenzen bekannt, als Johann Gottfried Herder den Text ins Hochdeutsche übersetzt. „Ännchen von Tharau, mein Licht, meine Sonn‘, mein Leben schließ‘ ich um deines herum.“, intoniert die örtliche Musikgruppe für die Ausflugsgäste der Ocean Majesty vor dem Theater mit dem Simon-Dach-Erinnerungsbrunnen samt Ännchen von Tharau-Statue.
Wenige Stunden später steht an Bord ein weiterer gesellschaftlicher Höhepunkt der Reise an: Kapitänsempfang und das Willkommens-Dinner in zwei Sitzungen im Restaurant auf Deck 3. Ebenfalls zu zwei Terminen die Willkommens-Show aller Künstler, zu denen die Sänger Randall Cooper und Leo Linda, Kabarettistin Alexandra Gauger, Pianistin Chie Ishii, Peter Losinger und die Sofystic Chic Dancers gehören. Musikalisch umrahmt von Janos Abelovzki, Bernd Planer und der Clipper Band. Im Verhältnis zur Passagierzahl ein überaus vielseitiges Unterhaltungsprogramm.
Besonders die aus Tokio stammende Konzertpianistin, Rock-Komponistin und Autorin Chie Ishii präsentiert einen brillanten Auftritt. Sie hat zudem eine besondere Beziehung zur nächsten Hansestadt Riga, in der 1909 Humorist Heinz Erhardt geboren wurde. Zu seinem 100. Geburtstag erhielt die von der Erbengemeinschaft exklusiv autorisierte Pianistin das OK, bisher unveröffentlichte Kompositionen des musikalischen Entertainers zu veröffentlichen. „Heinz Erhardt mal klassisch“ steht auf dem Programm, ein Genuss der Extraklasse mit Musik und Text frei vorgetragen von Chie Ishii, bei der sich die Zuhörer begeistert mit riesigem Applaus bedanken.
In die Düna-Mündung bei Riga fuhren schon im 8. Jahrhundert die Wikinger bei ihren Fahrten über Novgorod zum Schwarzen Meer. Gotländische und niederdeutsche Kaufleute kamen 400 Jahre später ebenfalls zum Russlandhandel hierher. Nach Lübeck ist Riga die zweitälteste Hansestadt an der Ostsee. Pelze, Wachs, Getreide und Salz wurden getauscht.
Wir erfahren viel über die Entstehung, Geschichte und Kultur des Ostseeraumes von unserm persönlichen Lektor Dr. habil. Ludger Feldmann, der die Biblische Reisen Gruppe an Bord exklusiv und hervorragend betreut.
Wie ein solcher Fernhandel funktioniert, erleben wir hautnah in Tallinn, der ehemaligen Hansestadt Reval. Im Historischen Museum, das in der Großen Gildehalle untergebracht ist, schlüpfen wir spielerisch in die Rolle des westfälischen Kaufmanns Hans Selhorst, des Lübeckers Adolph Greverade oder des flämischen Händlers Hildebrand Veckinghusen. Wir handeln europaweit mit Stoffen, Wachs, Fellen und Korn. Sind in Venedig, Genua, London, Brügge und Moskau unterwegs. Sehen unsere Gewinne und Verluste in Dukaten direkt auf dem Display. Dieses interaktive Spiel macht riesigen Spaß. Wir verpassen fast den Zeitpunkt, pünktlich zur Ocean Majesty zurückzukehren, die äußerlich winzig klein zwischen zwei Megalinern mit je mehr als 3.000 Passagieren und Besatzungsmitgliedern eingeklemmt zu sein scheint.
Natürlich gibt es bei uns an Bord keine 12 Passagierdecks, keinen 18 Loch-Golfsimulator, kein Brauhaus, keine große Wellness Oase und FKK-Bereich.
Für ein Riesenkreuzfahrtschiff ist der Kanal von Korinth oder die Fahrt auf der Newa nach Sankt Petersburg dafür ein unüberwindbares Hindernis. Hier punktet unser Schiff mit einer Tonnage von nur 10.417 Bruttoregistertonnen. Zudem wirbt es mit Überschaubarkeit, Herzlichkeit und einem besonders engagierten Serviceteam. „Egal, wovon wir Falten bekommen, lachen Sie.“, hören wir Kreuzfahrtdirektorin Linder Brummer mit viel Herzlichkeit sagen. Die erfahrene Grande Dame der Branche ist seit mehr als 30 Jahren an Bord von Kreuzfahrtschiffen und schon viele Jahre für Hansa Touristik mit Sitz in Bremen und Stuttgart tätig.
Ein ebensolcher „alter Hase zur See“ ist Ex- MS Europa-Kapitän Peter Losinger. „Vom Leichtmatrosen zum Steuermann“ heißen seine Vorträge mit wunderbaren Anekdoten rund um seine erlebten Seereisen auf Fracht- und Passagierschiffen. Auch er schätzt die gute Teamarbeit an Bord der Ocean Majesty.
Drei „hansefreie“ Tage aber mit vielen kulturellen Highlights liegen mit Sankt Petersburg und Helsinki vor uns. Dank unseres kleinen Schiffes liegen wir direkt mitten im Zentrum von beiden Städten. Alle Sehenswürdigkeiten sind zum Greifen nahe. In Russland ist der Landgang nur mit einem vorher für über 100 Euro erworbenen Visum möglich, oder man hat Ausflüge gebucht. Und das ist zu empfehlen.
Ob Zarenresidenz Peterhof, Isaak Kathedrale, Eremitage, Schwanensee Ballett, Sankt Petersburg „auf eigene Faust“, abendliche Kanalfahrt … das Bordreiseleiterteam organisiert und betreuet alle Ausflüge hervorragend. So hat sich das frühe Aufstehen für den Katharinenpalast wirklich gelohnt: die Gäste der Ocean Majesty betreten als erste den überwältigenden goldenen Prachtbau mit seinem originalgetreu rekonstruierten Bernsteinzimmer. Eindrücke, die man so schnell nicht vergisst.
Auch in Helsinki haben wir den Ausflug ins 50 Kilometer entfernt liegende Porvoo gebucht. Sie ist nach Turku zweitälteste Stadt Finnlands und sogar 200 Jahre älter als die heutige, 1550 gegründete Hauptstadt. Wir hätten das wirklich sehenswerte malerische Städtchen wegen der knapp fünfstündigen Liegezeit unseres Schiffes selbstorganisiert gar nicht erreichen können. Malerisch die denkmalgeschützte Altstadt mit ihren vielen bunten Häusern und hübschen Geschäften. Hier ist die Zeit stehengeblieben, so etwa muss sie auch schon im Mittelalter ausgesehen haben. Aber von Hansekaufleuten keine Spur, nur eine Kogge hängt in der Kirche, die sogar Bischofssitz ist.
Viel „Hanse“ gibt es wieder in Schweden. Unter Heinrich dem Löwen kamen 1161 die ersten deutschen Kaufleute nach Gotland. Diese „Gotlandfahrer“ dehnten in den Folgejahren ihren Einfluss weiter auf Süd- und Mittelschweden aus. König Birger Jarl gewährte 1250 Hamburger und Lübecker Kaufleuten Zollfreiheit und ein Handelsmonopol. Zur Blütezeit der Hanse Mitte des 14. Und 15. Jahrhunderts ist Stockholm Umschlagplatz für Kupfer, Eisen, Pelze im Austausch mit Salz, Kräutern, Rheinwein, Seife und Edelsteinen.
Vom bunten Rolandsmarkt auf Gotland mit vielen traditionell gekleideten Einwohnern nähert sich unsere Ostseereise am nächsten Morgen in Rostock ihrem Ende. Aber auch hier werden wir mittelalterlich farbenprächtig zur Hanse Sail empfangen! Besser kann eine Reise nicht geplant sein. Hunderte Buden und Stände laden zum Verweilen und Mitmachen ein. Auch die ersehnte Koggenfahrt gönnen wir uns auf der „Lisa von Lübeck“, der originalgetreuen Nachbildung eines Kraweels aus dem 15. Jahrhundert. Schöner kann nach fast 3.500 Kilometern eine Ostseekreuzfahrt nicht enden.
Jutta Schobel, Reise-Journalistin
Auch in diesem Jahr erkundet die MS Ocean Majesty wieder die Perlen der Ostsee. Wenn Sie Lust bekommen haben, selbst einmal „Hanseluft“ zu schnuppern, kommen Sie einfach mit an Bord.