Selma Lagerlöf, Astrid Lindgren, Henning Mankell, Stieg Larsson oder deren Protagonisten Nils Holgersson, Pippi Langstrumpf, Kurt Wallander bzw. Mikael Blomkvist kennen sehr viele Menschen – rund um den Globus. Sie haben ihr Land und das Bild, das wir von Schweden haben, genauso geprägt wie ihre Landsleute Ingrid Bergman, Olof Palme, Greta Garbo, Dag Hammarskjöld oder Alfred Nobel. Aber kennen Sie auch Birgitta von Schweden? Zweifellos hat diese große Frauengestalt des späten Mittelalters das Land mehr beeinflusst als viele ihrer Landsleute vor und nach ihr. Nicht umsonst gilt die von Visionen heimgesuchte Mystikerin im protestantischen Schweden als Nationalheilige.
Birgitta Birgersdotter, so ihr bürgerlicher Name, wird 1303 im schwedischen Finsta bei Uppsala geboren. Sie entstammt einer der damals hochgeachtetsten Familien Schwedens. Ihr Vater ist Richter und sitzt im königlichen Reichsrat, ihre Mutter ist mit dem regierenden Königsgeschlecht verwandt. 1335 beruft König Magnus Eriksson Birgitta als Oberhofmeisterin und Erzieherin seiner jungen Ehefrau an den schwedischen Hof. Die tiefgläubige Birgitta soll schon als Kind Visionen gehabt haben. Die vom inneren Zerfall bedrohte Kirche wieder auf Gottes Spur zurückzuführen, macht sie sich zur Lebensaufgabe. Eine Vision ist vermutlich auch der Anlass für eine Pilgerreise zum Jakobsgrab nach Santiago de Compostela zusammen mit ihrem Ehemann, dem Reichsrat Ulf Gudmarsson. Letzterer erkrankt auf der Heimreise schwer und stirbt 1344 im schwedischen Alvastra. Birgitta beginnt daraufhin ein asketisches Leben. Ihre Visionen, die sie von nun an aufschreibt, häufen sich – über 600 sollen es gewesen sein. 1349 gründet sie im kleinen Vadstena den Erlöserorden, besser bekannt als Birgittenorden. Dort hat Birgitta von König Magnus Erikson einen Palast geschenkt bekommen, den sie zum Kloster umbauen lässt, welches ihre Tochter Katharina später fertigstellt. Der Birgittenorden ist geprägt von der Mystik Birgittas, in deren Zentrum das Mitleiden mit dem Gekreuzigten steht. Dem nach der Regel des hl. Augustinus lebenden Erlöserorden gehören heute weltweit ca. 570 Schwestern an. Kontemplation, mystische Hingabe, Chorgebet und Gottesdienste prägen das Ordensleben. Den Auftrag zur Ordensgründung hatte Birgitta in einer ihrer Visionen erhalten. Obwohl in Europa zu dieser Zeit Krieg und Pest herrschen, hindert dies Birgitta nicht daran, noch im gleichen Jahr Schweden zu verlassen, um in Rom vom Papst die Genehmigung ihrer Ordensregeln einzufordern. Bereits am schwedischen Hof hat sich Birgitta ohne Scheu in die Politik von Staat und Kirche eingemischt. Dabei zögert sie nicht, auch hohe weltliche und geistliche Würdenträger zurechtzuweisen, oder dem schwedischen König die Leviten zu lesen. Von Rom aus bemüht sie sich, auf die internationale Politik Einfluss zu nehmen und versucht, im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich zu vermitteln. Darüber hinaus appelliert sie an die Päpste, ihr damaliges Exil im französischen Avignon aufzugeben und nach Rom zurückzukehren. Auch caritativ-diakonisch ist Birgitta engagiert: Sie gründet in Rom ein Hospiz für schwedische Pilger und kümmert sich um Prostituierte, denen sie einen Neuanfang ermöglichen möchte. Erst im Jahre 1370 genehmigt Papst Urban V. die Regeln ihres Ordens. 1372 unternimmt sie mit ihrer Tochter Katharina eine Pilgerreise ins Heilige Land. Am 23. Juli 1373 stirbt Birgitta in Rom, ohne ihr Kloster im schwedischen Vadstena gesehen zu haben. 1391 wird sie heiliggesprochen und fünf Jahre später zur Schutzpatronin Schwedens erklärt. Ihre sterblichen Überreste werden nach Vadstena überführt. 1999 ernennt Papst Johannes Paul II. Birgitta zusammen mit der Kirchenlehrerin Katharina von Siena und der hl. Edith Stein zur Patronin Europas. Auch die evangelische und die anglikanische Kirche betrachten Birgitta als Glaubenszeugin und Mystikerin. Als Begräbnisort der hl. Birgitta ist das idyllisch am Vätternsee gelegene Vadstena der wichtigste Pilgerort Schwedens. Das nach ihrem Tod fertiggestellte Kloster ist das Mutterkloster der Birgittenschwestern. Obwohl eigentlich ein kontemplativer Orden, werden die Schwestern doch gerne von Fragenden aufgesucht. In ihrem schlichten Gästehaus beherbergen sie immer wieder Pilgerinnen und Pilger. Ein Aufenthalt im neuen Konvent lässt etwas von der Mystik Birgittas erleben. Das Klostermuseum in den Räumlichkeiten des ursprünglichen Klosters, das im Zuge der Reformation im 16. Jh. geschlossen wird, erzählt anschaulich die spannende Geschichte des einstigen Palastes, des Klosters und der hl. Birgitta. Die Klosterkirche, die den Reliquienschrein der hl. Birgitta beherbergt, ist heute noch ein eindrucksvoller Kirchenbau. Es gibt im Übrigen zwei sehr gut instand gehaltene Pilgerwanderwege im schwedischen Östergotland – den Klosterpfad (270 km) und den Birgittapfad (85 km), die beide an der Klosterkirche in Vadstena enden. Jedes Jahr treffen ca. 5.000 wandernde Pilger in Vadstena ein. Dazu kommen noch ca. 400.000, die ein anderes Transportmittel wählen, um Klosterkirche, Kloster oder das ökumenische Pilgerzentrum zu besuchen. Auch in Deutschland gibt es einen Birgittaweg: Er folgt den Spuren der hl. Birgitta und ihres Mannes Ulf, die sich 1341 auf den Weg von Schweden nach Santiago de Compostela gemacht hatten. Das 350 Kilometer lange Teilstück von Stralsund über Güstrow, Schwerin und Boitzenburg bis nach Lüneburg wurde als Pilgerweg ausgebaut. Als Zeichen dafür, dass der Weg Teil des Jakobswegs ist, ist der Birgittaweg mit dem Birgittenkreuz auf der Jakobsmuschel markiert.
Aber Schweden bietet natürlich weit mehr als die hl. Birgitta, literarischen, historischen und kulturellen Reichtum. Das Land ist berühmt für seine bezaubernde, durch zahlreiche Seen, wogende Felder, pilzreiche Wälder und einer einzigartigen Schärenküste geprägte Landschaft. Dazwischen liegen locker verteilte, meist rotbraune, weiß gerahmte Holzhäuschen. Kurz – eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch, um jede Ecke ein Bullerbü mit Raum für Körper und Seele. Pure, landschaftliche Idylle eben. Und fast ist es so, als hoffe man, unterwegs Lindgrens sommersprossengesprenkelte Göre Pippi Langstrumpf oder den lausbubigen Michel aus Lönneberga zu begegnen. Es ist bemerkenswert, wie es den Schweden gelingt, die alten Traditionen und kulturellen Wurzeln des Landes als natürlichen Teil ihrer modernen Gesellschaft lebendig zu halten.
Dipl.-Theol. Thomas Maier
Theologischer Leiter Biblische Reisen