Prächtiges Portugal – immer ganz nah am Meer

Nora Steen ist evangelische Pfarrerin und lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern in Lissabon, wo sie gemeinsam mit ihrem Mann die Deutsche Evangelische Kirchengemeinde betreut.

„Im äußersten Westen Europas ist der Himmel weit. Portugal ist, so sagt man hier, ein kaltes Land mit einer heißen Sonne und vor allem, einem ganz besonderen Licht. Kein Wunder, dass so viele hierher nach Portugal kommen, um dem dunklen Winter in Deutschland zu entfliehen. Der klare Himmel lässt die Seele weit werden. Der ständige Wind lässt einen nie vergessen, dass man im Land der Seefahrer ist – zur Küste ist es nirgends sehr weit und kaum ein Tag vergeht, an dem man keinen Fisch isst. Kilometerlange Sandstrände ziehen sich vom Süden im Algarve bis hoch in den Norden. Vor allem im Herbst und Winter sind die Wellen oft meterhoch – ein Paradies für Surfer, die aus der ganzen Welt hierher kommen, um mit ihren Brettern den Atlantik zu erobern. Aber auch im Inland gibt es viel zu entdecken – unberührte Naturparks wie der Gerês oder die Gegend um die Kleinstadt Marvão direkt an der spanischen Grenze. Spanien – das einzige Nachbarland Portugals – nicht geliebt, aber zumindest gelassen akzeptiert, so wie das bei solch engen Nachbarschaften oft ist. Trotzdem liegen Welten zwischen beiden Ländern: Die Mentalität der Menschen könnte unterschiedlicher nicht sein. Nicht ohne Grund ist die „saudade“, ein Wort dessen Bedeutung zwischen Melancholie und Sehnsucht changiert, so bezeichnend für das Lebensgefühl dieses kleinen Volkes, dessen Nationalgesang, der Fado, genau diese Stimmung beschreiben soll. Vielleicht hat diese Sehnsucht auch dazu geführt, dass so viele Portugiesen den Weg übers Meer ins Unbekannte gesucht haben. Vasco da Gama ist sicherlich der Bekannteste aus einer langen Liste berühmter Seefahrer des 15. Jahrhunderts.

Heute ziehen die jungen Portugiesen aus anderem Grund ins Ausland und das nicht immer freiwillig. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Ausbildungsmöglichkeiten im Land sind begrenzt. Die „saudade“ wirkt nun in andere Richtung: Egal, wohin es die Portugiesen verschlagen hat, die Sehnsucht nach dem Heimatland, nach der Familie, bleibt stark. Überhaupt, die Familie: Wenn man sich das niedrige Durchschnittseinkommen und das für deutsche Verhältnisse unfassbar geringe Rentenniveau anschaut und überlegt, wie es damit in Europa überhaupt möglich sein soll, zu überleben – bei Lebenshaltungskosten, die denen in Deutschland ähnlich sind, dann kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass dies nur möglich ist, weil die Familie zusammenhält. Man hilft sich aus – ob bei der Kinderbetreuung oder auch mal finanziell. Ohne das starke Netzwerk der Familie würden sicherlich noch viel mehr Menschen in die Armut abrutschen, als es ohnehin der Fall ist. Portugal gehört zu den ärmsten Ländern der Europäischen Union und es ist dem Land hoch anzurechnen, dass es sehr konsequent und mit teilweise drastischen Steuererhöhungen versucht, einen Weg aus der Schuldenkrise zu finden.

Nun aber zur Hauptstadt, keine Portugalreise ohne einen Besuch in Lissabon. Wer nach Lissabon kommt, ist vom morbiden Charme der Altstadt fasziniert. Was von außen jedoch romantisch wirkt, ist hinter der Kulisse oft dramatisch. Die meisten Häuser sind stark renovierungsbedürftig, sie sind nicht isoliert, es gibt in den nasskalten Wintern keine Heizung. Die soziale Not ist groß. Wir als deutschsprachige evangelische Gemeinde unterstützen seit Jahren ein Sozialprojekt in einem sozialen Brennpunkt. Dass Kinder eine warme Mahlzeit am Tag bekommen und Erwachsene eine gute medizinische Betreuung im Alter, ist oft nur möglich, wenn soziale Einrichtungen mithelfen.

Für Touristen bietet sich ein anderes Bild. Sie können eintauchen in die Welt des Schriftstellers Fernando Pessoa oder die Wege von Tabuccis Perreira wunderbar nachverfolgen und dabei eine Menge über die Zeitgeschichte Portugals verstehen. Sie begreifen, wieso Pascal Merciers Nachtzug gerade nach Lissabon gefahren ist. Sie erleben eine Stadt, die zwar zu Europa gehört, aber irgendwie noch gar nicht so richtig in Europa angekommen scheint. An der Flussmündung des Tejo abends ein Glas Wein trinken und durch die schmalen Gassen des Stadtviertels Alfama stromern – das macht Lissabon zu einem Erlebnis, das viele magisch in ihren Bann zieht. Eine Fahrt in einer der berühmten „Elétricos“, der kleinen Straßenbahnen, ist begehrt und tatsächlich bekommt man einen wunderbaren Überblick über diese Stadt, die wie Rom auf sieben Hügeln erbaut worden ist. Traditionell ist Portugal ein katholisches Land. Die Reformation hat es nie bis hierher geschafft. Die wenigen protestantischen Kirchen, die sich gegen politische und kirchliche Widerstände dennoch etabliert haben, pflegen eine enge Gemeinschaft, zu der auch die seit über 250 Jahren in Lissabon existierende deutschsprachige evangelische Gemeinde gehört.

Lissabon ist begehrt und mittlerweile im Sommer von Touristen überschwemmt. Noch schöner ist es daher, im Herbst oder im Frühling diese Stadt zu erkunden. Überall gibt es etwas zu entdecken. Die Künstlerszene hat sich die Stadt erobert – Streetart, Graffitis, Azulejos (Fliesen) verschönern viele ansonsten eher triste Straßenzüge. Eine gute Idee ist es, sich mit einem Fotoapparat oder einer Schreibkladde durch die Stadt treiben zu lassen. Einfach fotografieren oder aufschreiben, was einem begegnet, Eindrücke aufnehmen und auf sich wirken lassen. Auch mal schweigen und umso mehr hören. Als Gemeinde bieten wir solche Stadtspaziergänge der besonderen Art an und machen damit wunderbare Erfahrungen. Lissabon eignet sich für das Experiment, eine Stadt mal mit anderen Augen wahrzunehmen. Zwischendrin gibt es im Straßencafé einen Espresso und einen dieser süßen Küchlein mit Puddingfüllung „Pastel de Nata“ und obwohl die Straßen Löcher haben kann man spüren: Es ist doch irgendwie auch alles gut. Dass das auch die Portugiesen so sehen, ist offensichtlich. Allein ein voller Geldbeutel macht noch keinen glücklichen Menschen, es geht auch mit weniger, da kann ruhig die Fassade abblättern. Hauptsache, der Familie geht es gut und, mindestens genauso wichtig, das Essen schmeckt. Nichts wäre schrecklicher, als auf das Mittagessen mit einem Glas vinho tinto verzichten zu müssen – zwischen 13 – 14 Uhr sind die Restaurants rappelvoll. Ansonsten hält man es mit der Zeit nicht so genau – ob morgen wirklich die Bauarbeiten beginnen oder nicht doch eher übermorgen, das wird man sehen. Portugiesen sind gut geübt im Warten. Vielleicht ist Gelassenheit die einzige Tugend, die hilft, mit manchen Widrigkeiten des Alltags zurechtzukommen und trotzdem noch jeden Morgen den weiten Himmel und das einzigartige Licht zu genießen. Und am Wochenende: geht’s ans Meer.“

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