Vom 02. bis 11. April 2018 veranstaltete der Ehemaligen-e.V. der Jerusalemer eine Reise nach Armenien. Für uns Jerusalemer hat „Armenien“ einen vertrauten Klang: Denn unmittelbar neben der Jerusalemer Dormitio befindet sich das Armenische Patriarchat, zu dem von Seiten der Dormitio freundschaftliche Beziehungen bestehen und wo wir ein- und ausgingen.
Die heutige Republik Armenien ist so groß wie Belgien. Manche Entfernung von nur 50 km entpuppt sich jedoch als lange Exkursion aufgrund schlechter Straßenverhältnisse, bei denen nicht mehr als 20 km/h möglich sind. Außerdem lag in den höheren Regionen noch zu viel Schnee, so dass manch Geplantes nicht realistisch war.
Die heutige Republik Armenien ist so groß wie Belgien. Manche Entfernung von nur 50 km entpuppt sich jedoch als lange Exkursion aufgrund schlechter Straßenverhältnisse, bei denen nicht mehr als 20 km/h möglich sind. Außerdem lag in den höheren Regionen noch zu viel Schnee, so dass manch Geplantes nicht realistisch war.
Wir flogen über Warschau nach Jeriwan. Jeriwan ist keine „schöne“ Stadt mit fotogenem historischen Ortskern, sondern ein Moloch mit 1 Million Menschen – hier lebt gut ein Drittel sämtlicher Inlands-Armenier (insgesamt ca. 2,8 Millionen).
Der Ararat, das Wahrzeichen der Armenier, ist im Süden des Landes, also auch in Jeriwan, optisch allgegenwärtig. Links ist der kleine Ararat mit 3869m, rechts der große Ararat mit 5137m, der letzte Ausbruch war 1840. Hier soll die Arche Noas gestrandet sein (nach Gen 8,4 auf den Bergen im Land „Urartu“). Er liegt heute auf türkischem Gebiet. Daher protestierte die Türkei gegen den Ararat im armenischen Wappen (hier sieht man ihn samt Arche!) – woraufhin die Armenier entgegneten, der Mond auf der türkischen Flagge gehöre ja auch nicht zur Türkei….
In Jerewan gibt es edle und teure Viertel – und große Armut. Im ganzen Land ist Armut ein Thema, links ein Bild aus der Hauptstadt und rechts eines vom Land. Das monatliche Durchschnittseinkommen liegt bei umgerechnet 160 EUR. Viele Häuser haben nur Wellblechdächer, keine Heizung außer Holz und getrocknetem Dung, keinen Strom – in den Bergen kann es im Winter bis – 30 °C werden…
Der Zusammenbruch der Sowjetunion liegt zwar bald dreißig Jahre zurück, ist aber nach wie vor nicht bewältigt. Es gibt viele trostlose Industrieruinen. Russisch ist die erste Fremdsprache in der Schule geblieben, gefolgt von Englisch und Deutsch.
Ein Schwerpunkt unserer Reise war die Begegnung mit der Armenischen Apostolischen Kirche. Armenien ist das erste Land der Welt, das Anfang des 4. Jahrhunderts das Christentum als Staatsreligion einführte. Rund hundert Jahre später erfand der heilige Mesrop Maschtoz die 36 Buchstaben des armenischen Alphabets, die unverändert bis heute gelten.
Armenisch ist eine indogermanische Sprache, die Schrift nimmt Anleihen im Griechischen und Syrischen, wird von links nach rechts geschrieben. Handschriften haben einen Stellenwert, der fast an die Heiligkeit der Schrift im Islam und Judentum erinnert.
Wir erlebten ein UNESCO-Weltkulturerbe nach dem anderen, das Land ist unendlich reich an schönen Klosterkirchen. Anders als in der byzantinischen Tradition spielen bunte Bilder kaum eine Rolle (außer in Handschriften), es gibt keine Ikonen. Die religiöse Sprache geschieht in Stein: in Architektur und atemberaubenden Ornamenten.
Typisch sind die sogenannten „Kreuzsteine“ (armenisch Chatschkar): Memorialsteine, auch Grabsteine. Kreuzsteine sind meist ohne Corpus (es gibt aber auch andere) und zeigen immer ein blühendes Kreuz als österliches Zeichen. Sie sind immer so aufgestellt, dass sie nach Westen Richtung Sonnenuntergang schauen.
In Etschmiadsin, dem „armenischen Vatikan“ mit Sitz des Katholikos, hatten wir ein Gespräch mit einem Archimandriten, das für mich wegen seiner großen Offenheit zu den Highlights gehörte. Wir erfuhren, dass die Armenier keine Monophysiten, sondern lieber Miaphysiten sein mögen, da ihnen die Einheit der Natur Christi wichtig ist; dass es ökumenische Gespräche zur Christologie mit den Russen und Griechen gebe, was nicht einfach sei, da Christologie manchmal schwieriger ist als Mathematik… In der Praxis sei es mit der Ökumene einfacher als in der Theologie, auch mit den Lateinern, selbst mit den Kirchen der Reformation. Schwierig für die Armenische Kirche sei, dass Anglikaner und viele Evangelische Frauenordination und homosexuelle Ehen bejahen, daher könne es hier keine Anerkennung der Taufe und keine Eucharistiegemeinschaft geben.
Alle christologischen, ekklesiologischen und sakramententheologischen Unterschiede wiegen nicht so schwer wie das Thema Geschlechter… Als wir in puncto Frauenordination nachhakten, kam eine erstaunliche Antwort: Das sei auch ein archaisch-psychologisches und kulturelles Problem, und vielleicht sei man(n) in 200 Jahren so weit! Ich hatte die übliche Geschlechterontologie erwartet, aber die kam nicht.
Die einfachen (verheirateten) Pfarrer bekommen kein Gehalt, sondern leben von Gaben der Gläubigen. Wer in der Hierarchie aufsteigen will, muss ein Zölibatsversprechen ablegen – und bekommt dann auch Gehalt. Es gibt keine Kirchensteuer, aber die Armenische Kirche bekommt viele Spenden, vor allem durch die Auslandsarmenier. Trotz der Mönchspriester gibt es kein Klosterleben (mehr), die vielen Klöster im Land stehen leer. Nonnen gibt es gar nicht. Es gibt mehr Bewerber fürs Priesterseminar als freie Plätze – auch da man(n) hier eine gute Schulausbildung bekommt. Etwa die Hälfte der 45 jährlich Aufgenommenen bricht die Ausbildung vor dem Abschluss ab.
In Etschmiadsin besuchten wir den Sonntagsgottesdienst in der Kathedrale des Katholikos (hier wird hinter dem Altar übrigens die Lanzenspitze aus Joh 19,34 und – natürlich – ein Stück Holz von der Arche Noa vom Ararat verehrt!) – und fühlten uns ein bisschen wie in Jerusalem! Kirchenmusik spielt eine große Rolle – vor einigen Jahren noch undenkbar, aber inzwischen üblich: gesungen von Frauenchören aus Berufsmusikerinnen, selbst in der Hochliturgie in Etschmiadsin, von höchster Qualität, ein Genuss!
Wir erlebten auf unserer Reise ungeplant eine Beerdigung, eine Hochzeit und eine Taufe, noch dazu eine Erwachsenentaufe. Der Täufling namens David tauchte selber (!) seinen Kopf drei Mal ins Taufbecken, wurde hinterher gesalbt und empfing die erste Kommunion.
Ca. 95% der Bevölkerung sind Mitglied der Armenischen Apostolischen Kirche. Manche halten die Armenier nicht für gläubiger als die Deutschen. Erschreckend sind die hohen Abtreibungszahlen – vor allem Mädchen werden abgetrieben. In den Frauen liege großes gesellschaftliches Potential, sagte man uns, das in Armenien bislang kaum genutzt werde, das das Land aber dringend brauche.
Die Kirchenmitgliedschaft sei eine Frage nationaler Identität. In Sowjetzeiten war die Kirche eine kulturelle Einrichtung und sei aktuell dabei, ihren Platz zu suchen. Liturgie hat einen hohen Stellenwert, Seelsorge in unserem Sinne gibt es so gut wie gar nicht, caritatives Engagement beginne erst allmählich.
Außer Christen anderer Kirchen gibt es wenige Muslime im Land und im Norden einige jesidische Dörfer, auch einige Dörfer mit Molokanen (eine Abspaltung der russischen Orthodoxie, die zwangsweise in den Kaukasus umgesiedelt wurden), Jesiden gehören (eigentlich) zu den Nordkurden, auch in Armenien leben sie als Halbnomaden: im Winter im Dorf, im Sommer mit ihren Herden in den Bergen.
Ach, überhaupt die Berge des „kleinen“ Kaukasus – sie sind atemberaubend schön. Und im April grün und weiß, immer wieder mit bunten Tupfen blühender Obstbäume. Die niedrigeren Berge im Süden des Landes werden bis zum Sommer braun wie die Wüste Juda.
Wir wagten auch einige Wanderungen, z.B. durch die Khasach-Schlucht vom Johanneskloster zum Psalmenkloster. Armenien ist reich an Bergen, und wenn es mal flacher aussieht, vergisst man leicht, dass man auf einer Hochebene im Hochgebirge ist. Hier haben sich Flüsse tief ins Vulkangestein eingegraben. Da hier die Eurasische und die Arabische Platte aufeinanderstoßen (und den Kaukasus auftürmen), gibt es immer wieder Erdbeben – dann verändern sich auch die Schluchten, so dass manche Klöster inzwischen näher am Abgrund stehen als zur Zeit ihrer Errichtung.
Gegessen haben wir natürlich auch in Armenien – und zwar nicht gerade wenig, denn die sprichwörtliche armenische Gastfreundschaft wurde uns nach dem Frühstück im Hotel an manchen Tagen gleich zwei Mal zuteil, was mittags und abends mindestens drei Gänge bedeutete: zuerst Fladenbrot (Lavasch, im Tandoor-Ofen gebacken) mit Käse und diversen Salaten, dann Fleisch, schließlich süßes Gebäck mit Tee oder Mokka. Uff!
Hier gibt es gefüllte Weinblätter (links) und armenische Krautwickerl (rechts auf dem Teller), gefüllt mit Reis und Paprika, eher scharf, aber sehr gut! Daneben Buttermilchsuppe mit Fleischküchle.
Schließlich ein ländlicher Verkaufsstand mit Spirituosen. Uns hat es vor allem der Maulbeerbrand angetan! Armenischen Rotwein (in den Flaschen ist keineswegs Cola!) haben wir natürlich auch probiert.
Durch Kontakte im Land erfuhren wir vieles, was in keinem Reiseführer steht – z.B. über Korruption, Stimmenkauf und Wahlbetrug, den mühsamen Weg zur Gewaltenteilung und den Konflikt mit dem östlichen Nachbarn Aserbaidschan um Berg Karabach. Hier geht nichts weiter, es gibt nach wie vor Schießereien mit Toten. Unten links ein Soldatenfriedhof für die Gefallenen des Kriegs mit Aserbaidschan. Dass die Bilder der Verstorbenen in Stein gebrannt werden, ist nicht nur bei Soldaten üblich. Dennoch hat mich dieser Soldatenfriedhof sehr an den Märtyrerkult im benachbarten Iran um die Gefallenen aus dem Iran-Irak-Krieg erinnert: Auch hier spielen Bilder der gefallenen jungen Männer eine ganz große Rolle.
Klar kommt man in Armenien am Genozid nicht vorbei. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Armenien sind gute Tradition – und durch die deutsche Anerkennung des Genozids noch besser geworden. Auch wir besuchten die Gedenkstätte Tsitsernakaberd in Jeriwan und legten bei der ewigen Flamme Blumen der Solidarität nieder. Wir fühlten uns an Yad Vashem in Jerusalem erinnert. Israel hat den Genozid an den Armeniern übrigens bisher nicht anerkannt – da bleiben viele Fragezeichen…
Reich flogen wir zurück – die letzten Bilder sollen dem Ararat gehören: links das wohl am meisten fotografierte Motiv Armeniens, das Kloster Khor Virap (noch armenisch) vor dem Ararat (dazwischen liegt die Grenze zur Türkei).
An einem unserer letzten Abende kleidete sich der Ararat in den Glanz des Sonnenuntergangs und hielt für die Fotografin ganz still…
Unsere Gastautorin ist Frau Dr. Hildegard Gosebrink, Leiterin der Landesstelle für Frauenseelsorge in Bayern